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Kein Widerspruch? Keine Klage? Antrag auf nachträgliche Überprüfung beseitigt Sperrzeit

Unser Mandant hatte von der Bundesagentur für Arbeit - Agentur für Arbeit beim Bezug von Arbeitslosengeld eine zwölfwöchige Sperrzeit wegen schuldhaftem Beenden des Beschäftigungsverhältnisses erhalten. Versehentlich hat unser Mandant dann nach erfolglosem Widerspruch die Klagefrist nicht gewahrt. Alles aus? Sperrzeit unumgänglich? Angelegenheit beendet? Weit gefehlt! Im Sozialrecht besteht die Besonderheit der Möglichkeit der nachträglichen Überprüfung von Bescheiden - auch nach Ablauf der Widerspruchsfrist, der Klagefrist und selbst nach einer gerichtlichen Entscheidung. Genau dieses Vorgehen, die nachträgliche Überprüfung (§ 44 SGB X) haben wir unserem Mandanten dann auch empfohlen und uns mit folgendem Schreiben an die Arbeitsagentur gewendet:

 

" ... ./. Bundesagentur für Arbeit
Ihr Zeichen: 014-739D...
Kundennummer: 739D.

Sehr geehrte Damen und Herren,

in vorbezeichneter Angelegenheit zeige ich an, dass mich Herr ... mit der Wahrnehmung seiner rechtlichen Interessen beauftragt hat. Die weitergehende Korrespondenz bitte ich daher, ausschließlich über mich führen zu wollen. Die ordnungsgemäße Bevollmächtigung wird anwaltlich versichert.

Im Namen und im Auftrag meines Mandanten beantrage ich die

 

nachträgliche Überprüfung gemäß § 44 SGB X

 

Ihres

 

Bescheids vom 21.04.2020

 

und beantrage, diesen zurück zu nehmen.

 

Begründung:

 

Mit Bescheid vom 21.04.2020 haben Sie gegen meinen Mandanten beim Bezug vom Arbeitslosengeld eine 12-wöchige Sperrzeit verhängt wegen einer angeblichen Arbeitsaufgabe.

Der Bescheid wurde bestandskräftig. An sich ist er damit für die Beteiligten in der Sache bindend, jedoch nur soweit durch Gesetz nichts anderes bestimmt ist (§ 77 SGG). Die Bindungswirkung kann hier allerdings auf gesetzlicher Grundlage zugunsten meiner Mandantschaft durchbrochen werden. Denn soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass eines Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht oder Beiträge zu Unrecht erhoben worden sind, ist der Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar nach § 77 SGG geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen (§ 44 Abs. 1 S. 1 SGB X). Aufgrund des unten erfolgenden substantiierten Sachvortrags, der die Rechtswidrigkeit des zur Überprüfung gestellten Bescheids darstellt, kann dahinstehen, ob und welcher Rechtsprechung zum Ausschluss der Überprüfungspflicht im Einzelfall man folgen wollte, denn selbst die strengsten Anforderungen an die nachträgliche Überprüfung eines bestandskräftigen Bescheids (vgl. KassKomm/Steinwedel, 106. EL September 2019, SGB X § 44 Rn. 43) werden damit ohne Weiteres erfüllt. Nach § 44 Abs. 1 S. 1 SGB X liegt ein „rechtswidriger“ Verwaltungsakt dann vor, wenn bei Erlass eines Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist. Die Rechtsverletzung kann sich auf die Verletzung materiellen Rechts, selbst auf die Verletzung von Richterrecht, auch lediglich auf die Verletzung von Verfahrensvorschriften oder sogar der Verwaltungspraxis stützen (v. Wulffen/Schütze/Schütze, 8. Aufl. 2014, SGB X § 44 Rn. 7). Maßgebend ist die Rechtswidrigkeit aus heutiger Sicht (KassKomm/Steinwedel, 106. EL September 2019, SGB X § 44 Rn. 33).

Nach diesen rechtlichen Maßgaben erweist sich der zur Überprüfung gestellte Bescheid vom 21.04.2020 als im Zeitpunkt seines Erlasses aus heutiger Sicht als belastend und rechtswidrig für meine Mandantschaft, so dass wie oben beantragt zu entscheiden ist.

Ich verweise zunächst auf die anderweitig bereits erfolgte Widerspruchsbegründung und ergänzend und besonders auf folgendes:

Nach diesseitigem Kenntnisstand ist schon nicht bekannt, welches Verhalten genau seitens des ehemaligen Arbeitgebers beanstandet wird. Die genaue Kenntnis ist aber erforderlich, um sich gegen den Vorwurf hinreichend verteidigen zu können. Es wird daher gebeten, den ehemaligen Arbeitgeber zunächst aufzufordern, den genauen Sachverhalt darzustellen, der aus seiner Sicht eine verhaltensbedingte Kündigung gerechtfertigt haben würde und anschließend dem Unterfertigten zur Gewährung rechtlichen Gehörs vor der Verbescheidung des hiesigen Antrags zukommen zu lassen. Anschließend wird ggf. weitergehend ausgeführt werden.

Mit freundlichen Grüßen

 

Mathias Klose
(Rechtsanwalt, Fachanwalt für Sozialrecht und Fachanwalt für Strafrecht)"

 

Offensichtlich waren die Angaben des ehemaligen Arbeitgebers dann doch nicht geeignet, eine verhaltensbedingte Kündigung zu rechtfertigen. Die Bundesagentur gab daher dem Überprüfungsantrag nach § 44 SGB X statt und nahm den Sperrzeitbescheid zurück.

 

Einziger "Wermutstropfen": Ist der Überprüfungsantrag, wie hier, erfolgreich, besteht anders als bei erfolgreichen Widersprüchen kein Kostenerstattungsanspruch gegen die Behörde. Üblicherweise lässt sich dies aber angesichts des Erfolgs im 44er-Verfahren gut verkraften.

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