Statusfeststellungsverfahren
Von größter praktischer Bedeutung ist im Zusammenhang mit einem Arbeitsverhältnis - gleichermaßen für Arbeitgeber wie den Mitarbeiter - die Beantwortung der Frage, welchen sozialversicherungsrechtlichen Status der Mitarbeiter besitzt: Beschäftigter oder Selbständiger.
Denn an den Status als Beschäftigter oder Selbständiger knüpft die Sozialversicherungspflicht in der Arbeitslosen-, Kranken-, Pflege- Renten- und Unfallversicherung an. Ist der Angestellte Beschäftigter im sozialversicherungsrechtlichen Sinne, müssen Arbeitgeber und -nehmer Sozialversicherungsbeiträge aus dem Beschäftigungsentgelt entrichten, der Arbeitgeber muss die Beiträge selbsttätig abführen. Ist der Mitarbeiter hingegen nicht als Beschäftigter einzustufen, sondern als Selbständiger, trägt er für seine Sozialversicherung grundsätzlich selbst Sorge, der Arbeitgeber muss dann keine Beiträge abführen. Viele Arbeitgeber bevorzugen daher in Fällen, in denen nicht eindeutig ein Beschäftigungsverhältnis vorliegt, mit Selbständigen zusammen zu arbeiten.
Dieses Vorgehen bringt allerdings nicht nur finanzielle Chancen mit sich, sondern birgt auch erhebliche - finanzielle und rechtliche - Risiken und ist daher nur ratsam, wenn es sich zweifellos um eine selbständige Tätigkeit handelt. Handelt es sich nämlich tatsächlich nicht um eine selbständige Tätigkeit, sondern um eine Beschäftigung im sozialrechtlichen Sinne, sind die Beiträge zur Sozialversicherung - und oftmals auch Säumniszuschläge in Höhe von 1 % pro Monat (§ 24 SGB IV) - vom Arbeitgeber nachzuentrichten. Ein Regress gegen den Mitarbeiter ist nur sehr begrenzt möglich.
Neben einer sozialrechtlichen Beitragsnachforderung drohen dem Arbeitgeber unter dem Aspekt des Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt (§ 266a StGB) auch im Bereich des Strafrechts Konsequenzen, die bis zur Freiheitsstrafe reichen können.
Desweiteren können sich beispielsweise im Bereich des des Arbeitsrechts nicht beabsichtigte Konsequenzen ergeben, z.B. im Zusammenhang mit dem Ausspruch einer Kündigung: Ist der Mitarbeiter selbständig, gilt etwa das Kündigungsschutzgesetz nicht für ihn. Ist er hingegen Beschäftigter ist er in der Regel auch als Arbeitnehmer einzustufen, so dass auch das Kündigungsschutzgesetz und andere arbeitnehmerschützende Regelungen anwendbar sein können.
Wann ein sozialversicherungsrechtliches Beschäftigungsverhältnis vorliegt und wann eine selbständige Tätigkeit kann von den Vertragsparteien nicht frei vereinbart werden. Entgegen der weit verbreiteten Meinung reicht es nicht aus, einen Mitarbeiter in einem Vertrag als selbständig zu bezeichnen oder vertraglich eine selbständige Tätigkeit zu vereinbaren. Wann eine Beschäftigung i.S.d. Sozialversicherungsrechts vorliegt, gibt das Gesetz vor:
Beschäftigung ist die nichtselbständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis. Anhaltspunkte für eine Beschäftigung sind eine Tätigkeit nach Weisungen und eine Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Weisungsgebers (§ 7 Abs. 1 SGB IV).
Auch die Prüfung, ob eine Beschäftigung vorliegt, ist im Gesetz geregelt, man spricht vom Statusanfrageverfahren. Zum 01.04.2022 ändert sich § 7a SGB IV wensentlich. Es ist daher zwischen der bis zum 31.03.2022 und der ab dem 01.04.2022 geltenden Rechtslage zu unterscheiden.
Die Beteiligten können schriftlich eine Entscheidung beantragen, ob eine Beschäftigung vorliegt, es sei denn, die Einzugsstelle oder ein anderer Versicherungsträger hatte im Zeitpunkt der Antragstellung bereits ein Verfahren zur Feststellung einer Beschäftigung eingeleitet. Die Einzugsstelle hat einen Antrag zu stellen, wenn sich aus der Meldung des Arbeitgebers ergibt, dass der Beschäftigte Ehegatte, Lebenspartner oder Abkömmling des Arbeitgebers oder geschäftsführender Gesellschafter einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung ist (§ 7a Abs. 1 SGB IV).
Zu einem Statusanfrageverfahren kann es etwa kommen, wenn Arbeitgeber oder Mitarbeiter dies beantragen, falls ein Sozialversicherungsträger dies beantragt, z.B. wenn sich ein selbständiger Mitarbeiter nach einer Kündigung arbeitsuchend meldet und angibt, nicht selbständig, sondern in Wirklichkeit abhängig beschäftigt gewesen zu sein (optionales Statusanfrageverfahren) oder der Beschäftigte Ehegatte, Lebenspartner oder Abkömmling des Arbeitgebers oder geschäftsführender Gesellschafter einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung ist (obligatorisches Statusanfrageverfahren).
Für das Vorliegen einer selbständigen Tätigkeit spricht beispielsweise:
- unternehmerisches Handeln/Unternehmerrisiko (Einsatz eigener finanzieller Mittel),
- Leistungserbringung im eigenen Namen und auf eigene Rechnung,
- Geschäfts- bzw. Gesellschaftsform,
- Beschäftigung von Personal,
- Existenz einer eigenen Betriebsstätte und Betriebsausstattung,
- Auftreten am Markt/Werbemaßnahmen,
- Gewerbeanmeldung/Eintragung im Handelsregister,
- Steuernummer,
- Mitgliedschaft in berufsspezifischen Verbänden und Organisationen,
- Leistungserbringung aufgrund eines Dienst- oder Werkvertrags (nicht aufgrund eines Arbeitsvertrags),
- keine Eingliederung in den Betrieb des Auftraggebers,
- kein vorangegangenes Arbeitsverhältnis mit dem Auftraggeber,
- freie Einteilung von Arbeitszeit und Arbeitsort,
- eigenverantwortliche und weisungsfreie Ausführung der vereinbarten Tätigkeit,
- höhere Vergütung als sie unselbständig Beschäftigte erhalten,
- Verrichtung anderer bzw. auch höherwertiger Tätigkeiten als sie im Betrieb von Arbeitnehmern verrichtet werden,
- völlig freie Entscheidung über die Annahme oder Ablehnung von Aufträgen,
- kein Anspruch auf Entgeltfortzahlung bei Krankheit oder Urlaub,
- Möglichkeit für weitere Auftraggeber tätig zu sein,
- Möglichkeit die Arbeit durch Dritte verrichten zu lassen,
- separates Geschäftskonto,
- Vorhandensein erforderlicher (behördlicher) Genehmigungen.
Liegen diese Voraussetzungen nicht vor, besteht etwa kein Unternehmerrisiko oder muss eine Tätigkeit nach genauer Weisung in Zusammenarbeit mit festangestellten Arbeitnehmern verrichtet werden, spricht dies eher für eine abhängige Beschäftigung als für eine selbständige Tätigkeit. Die Deutsche Rentenversicherung Bund entscheidet im Anfrageverfahren auf Grund einer Gesamtwürdigung aller Umstände des Einzelfalles, ob eine Beschäftigung vorliegt (§ 7a Abs. 2 SGB IV). Um eine selbständige Tätigkeit annehmen zu können, müssen dementsprechend nicht alle vorliegen, sondern im Rahmen der durchzuführenden Abwägung müssen sämtliche für und sämtliche gegen eine selbständige Tätigkeit bzw. abhängige Beschäftigung vorliegenden Kriterien berücksichtigt und gegeneinander abgewogen werden.
Bei der sozialversicherungsrechtlichen Beurteilung von Gesellschafter-Geschäftsführern einer GmbH oder UG (haftungsbeschränkt) kommt es hingegen nicht auf die oben dargestellten Kriterien an, sondern im Wesentlichen auf die Kapitalbeteiligung an der Gesellschaft. Lesen sie dazu hier mehr.
Wird die Statusfeststellung beantragt, ist das Formular V0027 “Antrag auf Feststellung des sozialversicherungsrechtlichen Status” der Deutschen Rentenversicherung zu verwenden und ergänzend dazu das Formular C0031 “Anlage zum Statusfeststellungsantrag zur Beschreibung des Auftragsverhältnisses” bzw. bei der Statusfeststellung von Gesellschafter-Geschäftsführern das Formular C0032 “Anlage zum Statusfeststellungsantrag für Gesellschafter / Geschäftsführer einer GmbH”.
Rechtslage ab dem 1. April 2022
Zum 1. April 2022 ändert sich das Statusverfahren nach § 7a SGB IV wesentlich.
Besonders bedeutsam für die Praxis ist die Möglichkeit, eine Entscheidung nach § 7a SGB IV schon vor Beginn der Tätigkeit zu beantragen. Mit dieser Prognoseentscheidung sollen Unsicherheiten der Beteiligten schon vorab geklärt werden können. Auch eine Gruppenfeststellung ist ab dem 1. April 2022 möglich, so dass bei inhaltsgleichen Tätigkeiten nicht mehr für jedes einzelne Tätigkeitsverhältnis ein Statusanfrageverfahren durchgeführt werden muss. Ebenso sind nach § 7a SGB IV n.F. Dreiecksverhältnisse prüfbar: "Wird die vereinbarte Tätigkeit für einen Dritten erbracht und liegen Anhaltspunkte dafür vor, dass der Auftragnehmer in dessen Arbeitsorganisation eingegliedert ist und dessen Weisungen unterliegt, stellt sie bei Vorliegen einer Beschäftigung auch fest, ob das Beschäftigungsverhältnis zu dem Dritten besteht" (§ 7a Abs. 2 S. 2 SGB IV n.F.).
Anders als bislang wird nach der Neufassung von § 7a SGB IV an dem 1. April 2020 auch der Erwerbsstatus festgestellt, nicht die Versicherungspflicht in den einzelnen Zweigen der Sozialversicherung, was das Verfahren vereinfachen soll.
Rechtsschutz gegen Statusentscheidungen
Bei den Rechtsschutzmöglichkeiten ändert sich zum 1. April 2022 nichts. Diese bleiben gleich.
Gegen die Entscheidung der DRV Bund kann zunächst Widerspruch eingelegt werden. Gegen einen negativen Widerspruchsbescheid besteht die Möglichkeit der Klage zum Sozialgericht. Widerspruch und Klage gegen Entscheidungen, dass eine Beschäftigung vorliegt, haben - anders als Widerspruch und Klage gegen einen Betriebsprüfungsbescheid - aufschiebende Wirkung, d.h. vom Auftraggeber sind zunächst insbesondere keine Gesamtsozialversicherungsbeiträge zu zahlen und von den Sozialversicherungsträgern sind zunächst keine Leistungen zu erbringen.
Für Ihre Fragen stehe ich Ihnen als Rechtsanwalt und Fachanwalt für Sozialrecht gerne zur Verfügung