Vorenthalten und Veruntreuen von Arbeitsentgelt
Der Straftatbestands des Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt (§ 266a StGB) richtet sich als Norm des “Arbeitsstrafrechts” oder “Wirtschaftsstrafrechts” mit seiner erheblichen Strafandrohung ausschließlich an Arbeitgeber bzw. an gleichgestellte Personen. Häufig begegnet § 266a StGB vor oder im Zusammenhang mit einer Insolvenz oder nach einer sozialrechtlichen Betriebsprüfung (§ 28p SGB IV) durch die Rentenversicherung.
Zu unterscheiden sind drei Varianten: Die Nichtabführung des Arbeitnehmersozialversicherungsbeitrags (§ 266a Abs. 1 StGB), die Nichtabführung des Arbeitgebersozialversicherungsbeitrags (§ 266a Abs. 2 StGB) sowie die Nichtabführung einbehaltenen Arbeitsentgelts an einen Dritten (§ 266a Abs. 3 StGB).
§ 266a StGB stellt eine der wesentlichen Schnittstellen zwischen dem Sozialrecht und dem Strafrecht dar. § 266a StGB ist “sozialrechtsakzessorisch”. Die Beurteilung etwaigen strafbaren Verhaltens hängt maßgeblich von der Beurteilung sozialrechtlicher Vorfragen ab. Zu fragen ist insbesondere nach der Sozialversicherungspflicht des betroffenen Arbeitnehmers in den einzelnen Zweigen der Sozialversicherung. Keine Versicherungspflicht besteht zum Beispiel bei der Entsendung eines Arbeitnehmers aus dem Ausland nach Deutschland. Auch bei geringfügigen Beschäftigungen kann von Versicherungsfreiheit teilweise auszugehen sein.
Ҥ 266a stgb - Vorenthalten und Veruntreuen von Arbeitsentgelt:
(1) wer als Arbeitgeber der Einzugsstelle Beiträge des Arbeitnehmers zur Sozialversicherung einschließlich der Arbeitsförderung, unabhängig davon, ob Arbeitsentgelt gezahlt wird, vorenthält, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.
(2) Ebenso wird bestraft, wer als Arbeitgeber
1. der für den Einzug der Beiträge zuständigen Stelle (Einzugsstelle) über sozialversicherungsrechtlich erhebliche Tatsachen unrichtige oder unvollständige Angaben macht oder
2. die für den Einzug der Beiträge zuständige Stelle pflichtwidrig über sozialversicherungsrechtlich erhebliche Tatsachen in Unkenntnis lässt
und dadurch dieser Stelle vom Arbeitgeber zu tragende Beiträge zur Sozialversicherung einschließlich der Arbeitsförderung, unabhängig davon, ob Arbeitsentgelt gezahlt wird, vorenthält.
(3) Wer als Arbeitgeber sonst Teile des Arbeitsentgelts, die er für den Arbeitnehmer an einen Anderen zu zahlen hat, dem Arbeitnehmer einbehält, sie jedoch an den Anderen nicht zahlt und es unterlässt, den Arbeitnehmer spätestens im Zeitpunkt der Fälligkeit oder unverzüglich danach über das Unterlassen der Zahlung an den Anderen zu unterrichten, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. Satz 1 gilt nicht für Teile des Arbeitsentgelts, die als Lohnsteuer einbehalten werden.
(4) In besonders schweren Fällen der Absätze 1 und 2 ist die Strafe Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn jahren. Ein besonders schwerer Fall liegt in der Regel vor, wenn der Täter
1. aus grobem Eigennutz in großem Ausmaß Beiträge vorenthält,
2. unter Verwendung nachgemachter oder verfälschter Belege fortgesetzt Beiträge vorenthält oder
3. die Mithilfe eines Amtsträgers ausnutzt, der seine Befugnisse oder seine Stellung missbraucht.
(5) Dem Arbeitgeber stehen der Auftraggeber eines Heimarbeiters, Hausgewerbetreibenden oder einer Person, die im Sinne des Heimarbeitsgesetzes diesen gleichgestellt ist, sowie der Zwischenmeister gleich.
(6) In den Fällen der Absätze 1 und 2 kann das Gericht von einer Bestrafung nach dieser Vorschrift absehen, wenn der Arbeitgeber spätestens im Zeitpunkt der Fälligkeit oder unverzüglich danach der Einzugsstelle schriftlich
1. die Höhe der vorenthaltenen Beiträge mitteilt und
2. darlegt, warum die fristgemäße Zahlung nicht möglich ist, obwohl er sich darum ernsthaft bemüht hat.
Liegen die voraussetzungen des Satzes 1 vor und werden die Beiträge dann nachträglich innerhalb der von der Einzugsstelle bestimmten angemessenen Frist entrichtet, wird der Täter insoweit nicht bestraft. In den Fällen des Absatzes 3 gelten die Sätze 1 und 2 entsprechend.”
Der Begriff des Arbeitgebers bestimmt sich nach sozialrechtlichen Grundsätzen, da nur der Arbeitgeber den Gesamtsozialversicherungsbeitrag abzuführen hat (§ 28e SGB IV). Arbeitgeber ist derjenige, der einen anderen beschäftigt. Beschäftigung ist die nichtselbständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis. Anhaltspunkte für eine Beschäftigung sind eine Tätigkeit nach Weisungen und eine Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Weisungsgebers (§ 7 I SGB IV), des Arbeitgebers.
Im Bereich des § 266a StGB gilt - wie im Sozialversicherungsrecht - das sog. Anspruchsprinzip. Das bedeutet, Sozialversicherungsbeiträge sind schon dann zu entrichten, wenn der Anspruch auf die Arbeitsvergütung entstanden ist. Auf die tatsächliche Zahlung der Vergütung oder den Zufluss beim Arbeitnehmer kommt es nicht an. Bemessungsgrundlage ist üblicherweise der Bruttolohn. Wurde ein Nettolohn vereinbart, ist von dem vereinbarten Nettolohn auf den Bruttolohn hochzurechnen (vgl. § 14 Abs. 2 SGB IV); dasselbe gilt in Fällen der Schwarzarbeit und der illegalen Beschäftigung.
Strafverfahren wegen des Verdachts des Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt begegnen häufig im Zusammenhang
mit
- der Zusammenarbeit eines Arbeitgebers mit vermeintlich Selbständigen ("Scheinselbständigkeit" mit der Folge der Sozialversicherungspflicht"),
- vermeintlichen Schwarzlohnzahlungen (z.B. nach der Anzeige eines im Streit ausgeschiedenen Mitarbeiters),
- der vermeintlichen Nichtzahlung von Löhnen oder Lohnbestandteilen (etwa wenn die Stundenaufzeichnungen eines Mitarbeiters mehr Stunden ausweisen als die Lohnabrechnung),
- der vermeintlich unrichtigen, d.h. unterbliebenen sozialversicherungsrechtlichen Verbeitragung von Lohnbestandteilen (insbesondere entgegen den Vorgaben von § 1 Sozialversicherungsentgeltverordnung - SbvEV), oder
- vermeintlich illegaler Arbeitnehmerüberlassung (durch Entstehen eines Beschäftigungsverhältnisses zum unerlaubt überlassenen Arbeitnehmer).
Die Nichtabführung des Arbeitnehmersozialversicherungsbeitrags (§ 266a Abs. 1 StGB) meint die Nichtabführung des ganzen oder teilweisen Gesamtsozialversicherungsbeitrag (§ 28d SGB IV), also insbesondere Beiträge zur Kranken-, Renten, Arbeitslosen- und Pflegeversicherung, an die Einzugsstelle bei Fälligkeit. Einzugsstelle ist die jeweilige Krankenkasse (§ 28h I 1, 28i SGB IV).
Fällig sind Sozialversicherungsbeiträge jeweils am drittletzten Bankarbeitstag eines Monats für den jeweiligen Monat.
Die Nichtabführung des Sozialversicherungsbeitrags eines Arbeitnehmers ist nach der Rechtsprechung aber nur dann strafbar, wenn die Entrichtung des Gesamtsozialversicherungsbeitrags dem Arbeitgeber auch zumutbar und tatsächlich möglich gewesen wäre. Dieser Aspekt kann in der Krise eines Unternehmens große Bedeutung erlangen, insbesondere wenn der Arbeitgeber tatsächlich zahlungsunfähig ist und aus diesem Grunde an der Beitragsabführung gehindert ist.
Dies kommt ausdrücklich auch in § 266a Abs. 6 StGB zum Ausdruck. Das Strafgericht kann von einer Bestrafung des eigentlich schuldigen Arbeitgebers absehen, wenn der Arbeitgeber spätestens im Zeitpunkt der Fälligkeit oder unverzüglich danach der Einzugsstelle schriftlich die Höhe der vorenthaltenen Beiträge mitteilt und darlegt, warum die fristgemäße Zahlung nicht möglich ist, obwohl er sich darum ernsthaft bemüht hat. Beiträge, die nach dem Arbeitsentgelt oder dem Arbeitseinkommen zu bemessen sind, sind in voraussichtlicher Höhe der Beitragsschuld spätestens am drittletzten Bankarbeitstag des Monats fällig, in dem die Beschäftigung oder Tätigkeit, mit der das Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen erzielt wird, ausgeübt worden ist oder als ausgeübt gilt (§ 23 Abs. S. 1 SGB IV). Werden die Beiträge dann nachträglich innerhalb der von der Einzugsstelle bestimmten angemessenen Frist entrichtet, tritt zwingend Straflosigkeit ein.
Die Nichtabführung des Arbeitgebersozialversicherungsbeitrags (§ 266a Abs. 2 StGB) umfasst neben dem Arbeitgeberanteil an Beiträgen zur Kranken-, Renten, Arbeitslosen- und Pflegeversicherung auch den Beitrag zur gesetzlichen Unfallversicherung. Sozialversicherungsrechtlich erhebliche Tatsachen sind z.B. der Beginn der versicherungspflichtigen Beschäftigung, Ende der versicherungspflichtigen Beschäftigung, Eintritt eines Insolvenzereignisses, Änderungen in der Beitragspflicht, Wechsel der Einzugsstelle, Anträge auf Altersrente oder Auskunftsersuchen des Familiengerichts in Versorgungsausgleichsverfahren, Unterbrechung der Entgeltzahlung, Auflösung des Arbeitsverhältnisses, Beginn der Berufsausbildung oder Ende der Berufsausbildung, Beginn oder Ende von Altersteilzeitarbeit (vgl. § 28a SGB IV).
Die Nichtabführung von einbehaltenen Arbeitsentgeltanteilen an einen Dritten (§ 266a Abs. 3 StGB) meint beispielsweise die Lohnsteuer oder Zahlungen an sonstige Dritte, etwa aufgrund von Gehaltspfändungen.
Strafbar ist die Beitragsvorenthaltung nach § 266a StGB in allen Varianten nur bei vorsätzlicher Begehung, nicht bei fahrlässiger Begehung. Für den “Abführungsvorsatz” i.S.d. § 266a StGB ist nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs das Bewusstsein und der Wille erforderlich und ausreichend, die Abführung der Beiträge bei Fälligkeit zu unterlassen. Vertraut jemand beispielsweise auf die rechtzeitige Einlösung eines Schecks, unterbleibt die Einlösung dann aber, so handelt er nicht mit Vorsatz, da er die Abführung der Beiträge bei Fälligkeit gerade nicht unterlassen wollte.
§ 266a StGB Abs. 6 StGB enthält einen persönlichen Strafaufhebungsgrund im Falle einer Selbstanzeige durch den Arbeitgeber. In den Fällen der § 266a Abs. 1 und 2 StGB kann das Gericht von einer Bestrafung absehen, wenn der Arbeitgeber spätestens im Zeitpunkt der Fälligkeit oder unverzüglich danach der Einzugsstelle schriftlich die Höhe der vorenthaltenen Beiträge mitteilt und darlegt, warum die fristgemäße Zahlung nicht möglich ist, obwohl er sich darum ernsthaft bemüht hat. Liegen diese Voraussetzungen (Mitteilung der vorenthaltenen Beiträge und Darlegung der Gründe für die nicht fristgerechte Zahlung) vor und werden dann auch die Beiträge nachträglich innerhalb der von der Einzugsstelle bestimmten angemessenen Frist entrichtet, wird der Täter insoweit zwingend nicht bestraft. Auch in den Fällen des § 266a Abs. 3 StGB gilt der Strafaufhebungsgrund des § 266a Abs. 6 StGB entsprechend.
Im Falle der Verurteilung können - zusätzlich zu der in § 266a StGB ausdrücklich genannten Geld- oder Freiheitsstrafe - als Rechtsfolgen ein Berufsverbot (§ 70 StGB) drohen, der Wegfall der Eignungsvoraussetzungen als Geschäftsführer einer GmbH tätig zu sein (§ 6 Abs. 2 S. 2 Nr. 3e GmbHG) oder eine Gewerbeuntersagung wegen Unzuverlässigkeit (§ 35 GewO). Auch droht nach einer Verurteilung wegen Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt stets auch die Geltendmachung von zivilrechtlichen Schadensersatzansprüchen gemäß § 823 Abs. 2 BGB gegen den haftbaren Verantwortlichen, insbesondere den GmbH-Geschäftsführer.
Sehr problematisch ist, besonders seit der Reform der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung durch des Gesetz zur Reform der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung, eben die Vermögensabschöpfung, die rückwirkend und selbst dann gilt, wenn Ersatzansprüche Dritter, z.B. der Sozialversicherungsträger, bestehen: Hat der Täter oder Teilnehmer durch eine rechtswidrige Tat oder für sie etwas erlangt, so ordnet das Gericht dessen Einziehung an (§ 73 Abs. 1 StGB). Wird die Einziehung eines Gegenstandes angeordnet, so geht das Eigentum an der Sache oder das Recht mit der Rechtskraft der Entscheidung grundsätzlich auf den Staat über (§ 75 Abs. 1 StGB). Ist die Einziehung eines Gegenstandes wegen der Beschaffenheit des Erlangten oder aus einem anderen Grund nicht möglich oder wird von der Einziehung eines Ersatzgegenstandes abgesehen, so ordnet das Gericht die Einziehung eines Geldbetrages an, der dem Wert des Erlangten entspricht (§ 73c S. 1 StGB - Wertersatz).
Beispiel: Tatvorwurf ist das Vorenthalten und Veruntreuen von Arbeitsentgelt in Höhe von 100.000,- €. Wird der Betroffene deswegen verurteilt, so ordnet das Gericht zwingend auch die Einziehung von Wertersatz in Höhe von 100.000,- € an. Der Wertersatzverfall ist unabhängig von einem etwaigen Beitragsanspruch der Sozialversicherungsträger.
Schon vor dem Urteil, also während des laufenden Ermittlungs-, Zwischen oder Hauptverfahren, kann der Vermögensarrest angeordnet werden: Ist die Annahme begründet, dass die Voraussetzungen der Einziehung von Wertersatz vorliegen, so kann zur Sicherung der Vollstreckung der Vermögensarrest in das bewegliche und unbewegliche Vermögen des Betroffenen angeordnet werden (§ 111e Abs. 1 StPO). Beschlagnahme und Vermögensarrest werden durch das Gericht angeordnet, bei Gefahr im Verzug kann die Anordnung auch durch die Staatsanwaltschaft erfolgen (§ 111j Abs. 1 StPO).
Beispiel: Tatvorwurf ist das Vorenthalten und Veruntreuen von Arbeitsentgelt in Höhe von 100.000,- €. Ist die Annahme begründet, dass die Voraussetzungen der Einziehung von Wertersatz in Höhe von 100.000,- € vorliegen, so kann zur Sicherung der Vollstreckung bereits während des Ermittlungsverfahrens der Ermittlungsrichter den Vermögensarrest in das bewegliche und unbewegliche Vermögen des Betroffenen anordnen. Der Vermögensarrest ist unabhängig von einem etwaigen Beitragsanspruch der Sozialversicherungsträger.
Neben § 266a StGB begegnet oftmals auch Lohn- und Umsatzsteuerhinterziehung gemäß §§ 370, 380 AO, wenn nicht nur Sozialversicherungsbeiträge vorenthalten wurden, sondern auch Steuern nicht abgeführt wurden.
Die Verjährung tritt beim Vorenthalten und Veruntreuen von Arbeitsentgelt nach fünf Jahren ein (§ 78 Abs. 3 Nr. 4 StGB). Mit Eintreten der Verjährung entsteht ein Verfahrenshindernis. Eine Bestrafung ist dann rechtlich nicht mehr möglich. Die Verjährung beginnt mit Verstreichen des jeweiligen monatlichen Fälligkeitstermins für die Entrichtung der Sozialversicherungsbeiträge zu laufen. Die absolute Verjährungsfrist, die auch durch strafprozessuale Handlungen nicht mehr gehemmt werden kann, beträgt zehn Jahre.
Als Fachanwalt für Sozialrecht und Fachanwalt für Strafrecht stehe ich Ihnen für Ihre Fragen gerne zur Verfügung